In den meisten Unternehmen arbeiten heute Mitarbeitende aus vier Generationen zusammen: von den Baby-Boomern über die Generation X und Y bis hin zur Generation Z. Die Generation Alpha steht bereits in den Startlöchern, befindet sich aktuell jedoch noch in Schule und Ausbildung.
Jede dieser Generationen hat ein eigenes Werteverständnis, ein anderes Kommunikationsverhalten und ein unterschiedliches Verhältnis zu Autorität, Arbeit und Sinn. Das wirft eine zentrale Frage auf: Wie gehen wir im betrieblichen Alltag mit diesen Unterschieden um?
Warum dieses Thema heute aktueller ist denn je
Ja, es stimmt: Das Unverständnis zwischen den Generationen ist ein alter Hut – schon griechische Philosophen beklagten sich über die Jugend. Warum also heute darüber sprechen?
Weil es eben nicht gleichgeblieben ist. Die Unterschiede zwischen den Generationen sind nicht nur Ausdruck des Lebensalters, sondern vor allem Reaktionen auf tiefgreifende Veränderungen der gesellschaftlichen, technologischen und wirtschaftlichen Umwelt. Und diese Veränderungen vollziehen sich heute in einem nie dagewesenen Tempo. Was früher 30 oder 50 Jahre dauerte, geschieht heute in nur 10 bis 15.
Die antiken Griechen mussten nie vier stark divergierende Generationen in einem Betrieb koordinieren – wir schon. Deshalb ist es heute relevanter denn je, diese Unterschiede nicht nur zu erkennen, sondern als Führungsaufgabe ernst zu nehmen.
Zur Verdeutlichung zwei zentrale Prognosen:
- Im Jahr 2035 werden rund 70 % der Erwerbstätigen aus den Generationen Y, Z und Alpha stammen.
- In den nächsten 10–15 Jahren werden bis zu 65 % der Arbeitsplätze entweder völlig neu entstehen oder sich so stark verändern, dass sie mit heutigen Maßstäben kaum vergleichbar sind (Quelle: World Economic Forum, McKinsey, Bitkom).
Die Frage drängt sich auf: Wer bereitet eigentlich unsere Lehrerinnen, Ausbilder und Führungskräfte darauf vor, junge Menschen nicht nur auf einen Abschluss, sondern auf ein völlig neues, heute weiträumig noch unbekanntes Leben und Arbeitsleben vorzubereiten?
Die Weisheit der Generationen bei den Benediktinern
Ein bemerkenswert früher Zugang zur kollektiven Intelligenz der Generationen findet sich in der über 1.500 Jahre alten Benediktinerregel. Der Ordensgründer Benedikt von Nursia sah den Wert gemeinsamer Entscheidungsprozesse lange vor modernen Managementtheorien.
Im Kapitel 3 schreibt er unter dem Titel „Die Einberufung der Brüder zum Rat“ (RB 3):
„Sooft etwas Wichtiges im Kloster zu behandeln ist, soll der Abt die ganze Gemeinschaft zusammenrufen und selbst darlegen, worum es geht.“ (RB 3.1)
„Er (der Abt) soll den Rat der Brüder anhören und dann mit sich selbst zu Rate gehen. Was er für zuträglicher hält, das tue er.“ (RB 3.2).
„Dass aber alle zur Beratung zu rufen seien, haben wir deshalb gesagt, weil der Herr oft einem Jüngeren offenbart, was das Bessere ist.“ (RB 3.3)
Mit der Regel „Tu alles mit Rat, dann brauchst du nach der Tat nichts zu bereuen.“ (RB 3.13) zeigt sich, dass Benedikt Entscheidungen auf der Grundlage der Vielen bereits den einsamen Entscheidungen als überlegen verstanden hat.
Und weiter: Auch im Kapitel 63 über die Rangordnung heißt es:
„Die Jüngeren sollen also die Älteren ehren, und die Älteren die Jüngeren lieben.“ (RB 63.10)
Diese Haltung – dass Vielfalt in Perspektiven und Lebensphasen nicht stört, sondern bereichert – hat auch in modernen Organisationen große Relevanz.
Generationenunterschiede im Betrieb – Alltag zwischen Missverständnis und Potenzial
In der Organisationsberatung erleben wir regelmäßig, wie sehr die Verständigung zwischen den Generationen zu scheitern droht. In manchen Fällen herrscht nicht nur Unverständnis, sondern aktive Ablehnung:
- Ältere Generationen halten Jüngere für illoyal, verwöhnt und überfordert.
- Jüngere werfen Älteren vor, die globalen und gesellschaftlichen Probleme maßgeblich verursacht und ihre Lösungen verschlafen zu haben.
Dazu gesellt sich ein typisches Kommunikationsmuster: Man spricht viel innerhalb der eigenen Generation, um Anekdoten auszutauschen und die Vorbehalte zu bestätigen, aber kaum generationenübergreifend miteinander. Einige prägnante Wahrnehmungen aus der Praxis:
1. Inflation formaler Abschlüsse, sinkende praktische Eignung Die Zahl der Studiengänge ist von etwa 1.500 zu Zeiten der Baby-Boomer auf über 20.000 angestiegen. Es ist heute davon auszugehen, dass es viele neuen Studiengänge nicht mehr geben wird, wenn der Erstsemesterjahrgang sein Studium abgeschlossen hat. Gleichzeitig wächst die Wahrnehmung, dass die tatsächliche Einsetzbarkeit der Absolventen abnimmt. Formale Bildung scheint sich zunehmend von betrieblicher Praxis zu entkoppeln.
2. Selbstinszenierung statt Leistung Viele junge Bewerberinnen und Bewerber treten mit starkem Selbstbewusstsein auf – hohe Gehaltsvorstellungen, maximale Flexibilität, klare Vorstellungen von Freizeit und Selbstverwirklichung. Wird dann gefragt, welchen Mehrwert sie dem Unternehmen bringen möchten, wirkt die Gegenfrage oft befremdlich. Ein in Aussicht gestelltes Gehalt scheint als bedingungsloses Grundeinkommen verstanden zu werden. Hart genug, wenn man dafür doch bitte erscheinen möge.
3. Disziplin, Motivation, Anstrengung sind Krankheitsbefunde Engagement und Durchhaltevermögen scheinen in Teilen der jungen Generation negativ konnotiert. Stattdessen erleben wir mitunter eine starke Erwartungshaltung – und das Bedürfnis, selbst für kleine Beiträge umfangreich gelobt zu werden. Es fiel gar der Begriff der Anerkennungssucht.
4. Fehlende Repräsentanz Jüngerer im Unternehmen In Organisationen, die von Baby-Boomern und Gen X dominiert sind, fehlen oft Ansprechpersonen aus jüngeren Generationen. Das macht die interne Kommunikation und Kooperation mit Kollegen einfacher, mit denen man gemeinsam alt geworden ist. Aber sie scheinen mit ihrer Umwelt (neue Kunden aus Y, Z, Alpha) nicht mehr wirkungsvoll kommunizieren zu können. Und sie können im Betrieb keine dieser Generationenvertreter um Rat fragen.
Anregungen für eine bessere Generationenintegration
Was tun? Hier sind fünf konkrete Anregungen, wie die Zusammenarbeit zwischen den Generationen gefördert werden kann – speziell an Führungskräfte der älteren Generation gerichtet:
1. Einstellen und Entwickeln
Viele Unternehmen verfassen komplexe, hochspezialisierte Stellenausschreibungen, sortieren akribisch Dutzende Bewerbungen aus – und führen am Ende kein einziges Interview, weil keiner den Anforderungen genügt. Warum?
Statt ausschließlich auf perfekte Profile zu warten: Stellen Sie Potenzial ein. Geben Sie Chancen. Entwickeln Sie Mitarbeitende im Betrieb weiter. Die Welt verändert sich ohnehin schneller, als es der Lebenslauf widerspiegeln kann.
2. Flexibilität bei Arbeitsbedingungen ernst nehmen
„Das haben wir noch nie so gemacht“ – dieser Satz wird zum Stolperstein. Neue Rahmenbedingungen fordern neue Antworten und sind eine Chance auf neue Spielregeln – für alle.
Ein Beispiel: Ein Bewerber mit unkonventionellem Lebenslauf, sehr auffallenden, sichtbaren Tattoos und dem Wunsch nach maximaler Flexibilität überzeugte durch Verantwortungsgefühl und Ergebnisorientierung. Die Entscheidung, ihn einzustellen, fiel aus der Not heraus – und erwies sich als voller Erfolg. Die Arbeitsqualität, Reaktionszeit und Teamfähigkeit überzeugten – bei gleichzeitiger Anpassung alter Gewohnheiten im Kollegium.
3. Ein gemeinsames Zielbild entwickeln
Jüngere Generationen lassen sich nicht durch überkommene Werte ansprechen. So wie wir (ich bin Baby-Boomer) es gemacht haben, ist es richtig und so muss es bleiben. Die vielen Krisen der Welt zeigen, dass das keine ganzheitliche Sicht ist. Offensichtlich war und ist nicht alles richtig, was die Alten gemacht haben. Beispiel: Wir Baby-Boomer haben unseren Kindern immer gesagt: „Iss deinen Teller leer, dann wird es morgen schönes Wetter.“ Was ist heute das Ergebnis: Dicke Kinder und Klimaerwärmung. Aber im Ernst: Die Vorstellung, dass beruflicher Erfolg sich ausschließlich über Gehalt, Aufstieg und Status definiert, trägt für viele nicht mehr.
Sie suchen Sinn. Verantwortung. Nachhaltigkeit.
Letztlich geht es darum: Finden Sie ein Ziel, einen Nordstern, dem sich auch jüngere Generationen verpflichtet fühlen.
Dazu ein gelungenes Beispiel: Im Klosterdorf St. Ottilien findet seit über drei Jahrzehnten alle drei Jahre ein Schulcircus statt, der nahezu vollständig in Eigenverantwortung der Schülerschaft geplant, organisiert und durchgeführt wird. Nahezu jeder Schüler bringt sich in irgendeiner Rolle ein. Bei diesem Circus Festival über zehn Tage finden neben einen großen Rahmenprogramm 16 beeindruckende Circus Aufführungen der Schüler, Lehrer und Mönche mit einer Länge von drei Stunden statt, was maximal anstrengend ist. Diese Aufführungen begeistern regelmäßig weit über 10.000 Besucher von nah und fern. Während der Schulzeit von neun Jahren dreimal dieses Festival mitveranstaltet zu haben, mobilisiert alle Schüler dermaßen, dass hier fast niemand motiviert, angetrieben, zur Disziplin angehalten werden muss.
Die Dynamik, die hier entfesselt wird, übertrifft in vielen Fällen die Motivation, die in klassischen Unternehmensstrukturen erzeugt wird – und widerlegt nebenbei die Mär der „unbrauchbaren Generation Alpha“.
4. Kommunikation neu denken – und auf Augenhöhe führen
Kommunikation ist keine Einbahnstraße – auch wenn Führungskräfte das gelegentlich vergessen. Wählen Sie passende Kanäle und Formate für den Dialog mit den Generationen Y, Z und Alpha – und nehmen Sie deren Rückmeldungen ernst.
Ein Beispiel: Ein in einschlägigen Kreisen populärer YouTube-Producer bat das Kloster St. Ottilien um die Möglichkeit, dort ein Selbstexperiment „ein Tag im Kloster“ zu filmen. Obwohl die Oberen dort nicht zu den oben genannten einschlägigen Kreisen gehören, stimmte der Abt zu, obwohl zunächst skeptisch. Das Resultat erreichte über zwei Millionen Zuschauer. Mehr Sichtbarkeit als jede Fernsehsendung. Mehr Wirkung als jede Hochglanzbroschüre, z.B. eine Anfrage für ein „Kloster auf Zeit“-Format eines jungen Mannes auf Selbstsuche. Es war wert, ein etwa seltsames Gefühl außerhalb der Komfortzone auszuhalten.
5. Vertrauen, Empathie und gegenseitiger Respekt
Warum gelingt das Zusammenspiel von Generationen in Familien oft so viel besser als im Beruf? Dort gelingt es ja auch, dass Großeltern und Eltern mit Kindern und Enkelkindern relativ gut zurechtkommen. Das liegt daran, dass wir auch im familiären Kontext oft fehlendes Verständnis leichter durch Liebe, Vertrauen, Zuversicht und Respekt kompensieren. Wenn man jetzt noch bedenkt, dass Menschen selten nur das sind, was sie sind – sondern häufig das, wozu wir sie durch unsere Haltung werden lassen, liegt die Anregung auf der Hand: Übertragen wir diese Haltung auf die Arbeitswelt, kann Empathie zum verbindenden Element werden. Weg von „aus dir wird nie was“ und hin zu „lass uns darüber reden und zuhören, wie es aus unseren beiden Sichten besser gelingen kann“.
Beispiel: Ein Vorstand, den wir begleiten, nimmt regelmäßig an Teammeetings teil – nicht zur Kontrolle oder um noch unmittelbarer instruktiv zu führen, sondern um zuzuhören. Um Perspektiven zu verstehen. Um Brücken zu bauen.
Zusammenfassung
Vier Generationen unter einem Dach – das ist längst Realität, keine Ausnahme. Doch echte Zusammenarbeit braucht mehr als Koexistenz. Sie verlangt nach Verständnis, nach Dialog, nach Offenheit für andere Werte und Blickwinkel. Wer sich dieser Herausforderung stellt, gewinnt mehr als nur Betriebsklima: Er gewinnt Zukunft.
Die Benediktiner haben es früh verstanden: Gute Entscheidungen entstehen im Dialog – besonders dann, wenn jüngere Stimmen Gehör finden. Auch moderne Organisationen brauchen diese Form der kollektiven Klugheit, wenn sie resilient und innovativ bleiben wollen.
Das heißt: Einstellen mit Blick auf Potenzial, Arbeitsbedingungen gestalten mit Mut zur Flexibilität, Zielbilder formulieren, die auch junge Menschen inspirieren, Kommunikation ernst nehmen – und vor allem: gegenseitiger Respekt, auch wenn das Gegenüber ganz anders denkt.
Die Herausforderungen der Zeit sind groß. Die Lösungen werden nicht allein von einer Generation kommen. Aber gemeinsam – mit Vertrauen, Neugier und Respekt – können wir die Stärke aller Generationen nutzen. Im Unternehmen. Und darüber hinaus.
Jeremias Schroeder Alex Dorow Dr. Martin Zimmermann Christoph Heumos Martin Lindhuber Rudolf Pichlmayr-Stiftung Deutsche Gesellschaft für Integrierte Versorgung im Gesundheitswesen e. V. (DGIV) Hubert Eisenack Carsten Mikosch Francesca Rodewald Holger Suffel Nils Kaupe @MichaelMeyer Juergen Ruckdeschel Sven Lückel Martin Dittebrand Kristoff Buckow Jonathan Mühlbauer Jürgen Bauderer Vinzenz Benz Roberto Morbio Wolfgang Köferler Wolfgang Trauner Karl-Ludwig Schinner Paul-Martin Schüle Petra Dieckmann Reinhold Diener
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